Interview mit dem Bauakustiker Christian André Müller

6. Juni 2021

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Fragen an den Bauakustiker Christian André Müller, Bachelor of Engineering Bauphysik, Gartenmann Engineering AG, Zürich





In der neuen Norm SIA 181:2020 wurde die Schallschutzreduktion von 3 dB auf 4 dB erhöht. Auf den ersten Blick keine grosse Änderung – oder täuscht dieses eine dB den Nichtfachkundigen?

Es geht um eine Verschärfung sämtlicher erhöhter Anforderungen. Wir sehen es als unproblematisch bei Luft- und Trittschall, problematisch aber für die Einhaltung bei den haustechnischen Anlagen.

 

Erfolgt auch bei der neuen Norm SIA 181:2020 die Geräusche-Anregung bei Bodenflächen mit dem Normhammerwerk und bei bodengleichen Duschen, belags- sowie konstruktionsunabhängig, mit dem Pendelfallhammer? Was ist der Grund für die Unterscheidung dieser beiden Messmethoden?

Die Duschtasse hat aus akustischer Sicht eine andere Beanspruchung als der angrenzende Boden. Demzufolge muss die Duschtasse mit dem Pendelfallhammer geprüft werden, während der angrenzende Bereich mit dem Normhammerwerk kontrolliert werden muss.

 

In den letzten Jahren haben viele Kantone die energetischen Anforderungen an die Gebäudehülle verschärft. Ist dies einer der Gründe, weshalb auch die akustischen Anforderungen immer höher gewichtet werden?

Nein, die Anpassungen erfolgten aufgrund der Anlehnung an internationale Empfehlungen (vgl. ISO/DIS 19488).

 

Durch die Nennung der SIA 181 im Art. 32 der Lärmschutzverordnung LSV kommt dieser Norm eine sehr hohe Gewichtung zu. Betrifft dies nur den öffentlichen Bereich oder auch private Bauten?

Dies betrifft sämtliche Bereiche, also öffentliche sowie auch private.

 

Der schwimmende Estrich übernimmt eine zentrale Rolle hinsichtlich des Trittschallschutzes. Wo entstehen aus Ihrer Erfahrung Ausführungsfehler beim Einbau von schwimmenden Estrichen, welche sich nachteilig auf den Trittschall auswirken?

Die meisten Probleme treten bei Schallbrücken auf, das heisst bei starren Verbindungen des schwimmenden Unterlagsbodens mit dem restlichen Baukörper. Das kann schon mit einer Mörtelbrücke erfolgen.

 

In welchen Belangen ist ein Estrichleger durch die Änderungen der neuen Norm SIA 181:2020 betroffen?

Die Konstruktion darf noch weniger Fehler aufweisen. Weiter wird noch mehr Wert auf eine mängelfreie Ausführung gelegt.

 

Was empfehlen Sie bodenlegenden Gewerken, die auf einen schwimmenden Estrich einen Belag verlegen?

Ein grosses Augenmerk auf die entkoppelte Konstruktion legen, in Kombination mit Stellstreifen.

 

Angenommen, es wurde ein normgerechter, schwimmender Estrich eingebaut, der die Trittschallanforderungen erfüllt. Welche Auswirkungen haben einzelne Schallbrücken, zum Beispiel aufgrund von zementärem Klebemörtel und/oder eines an die Wand angrenzenden Belags (Körperschallbrücken)?

Bereits kleine Körperschallbrücken können dazu führen, dass die Trittschallanforderungen nicht eingehalten werden können.

 

Wie kritisch sind die Schnittstellen in Badezimmern zwischen den Gewerken Sanitärinstallateur, Trockenbau-, Verputz- und Plattenarbeiten in akustischer Hinsicht zu beurteilen?

Die Probleme bei den unterschiedlichen Schnittstellen sind die Verantwortlichkeiten – die Anforderungen können nur bei einem optimalen Zusammenspiel der einzelnen Gewerke erfüllt werden.

 

In der Praxis stellen wir immer wieder fest, dass von Seiten der Planung bei den Treppenanlagen von neuen Mehrfamilienhäusern den estrich- oder bodenlegenden Unternehmern keine Vorgaben hinsichtlich der akustischen Anforderungen gemacht werden. Was gilt hier?

Das hat unmittelbar etwas mit der effektiven Konstruktion zu tun. Hier geht es um die Körperschallübertragung sowie die Abstände der Treppenhäuser zu den einzelnen Wohnungen. Generell sollten akustische Lager vorgesehen werden.

 

Wie werden Gebäude hinsichtlich der Mindest- und erhöhten Anforderungen gemäss der neuen Norm SIA 181:2020 unterteilt?

Normmässig erfolgt die Unterteilung zwischen Miet- und Eigentumswohnungen.

 

Nach unserer Erfahrung wird das Thema Trittschallverbesserung bei Altbausanierungen deutlich unterschätzt. Insbesondere bei einem Wechsel von gehweichen Altbelägen auf einen harten Belag, z. B. keramische Bodenbeläge. Wie sollte aus Ihrer Erfahrung vorgegangen werden, um allfällige Streitigkeiten zu vermeiden?

Generell wirkt ein Belagwechsel als kleiner Eingriff, der normalerweise nicht einmal eine Baubewilligung benötigt. Erfahrungsgemäss wird daher die Möglichkeit einer deutlichen Verschlechterung meistens nicht berücksichtigt. So kann ein kleiner Umbau anschliessend grosse Unzufriedenheit der darüber oder darunter liegenden Bewohner herbeiführen. Dies resultiert meistens aus einer subjektiven Änderung der akustischen Situation. Wir empfehlen, vor und nach dem Umbau eine kurze bauakustische Messung durchzuführen, um die Gegebenheiten festzuhalten.

 

Wie kann sich der umsichtige Handwerker am besten schützen und absichern, wenn von Seiten Planung bei Altbausanierungen von Mehrfamilienhäusern keine oder nur ungenügende Massnahmen zur Trittschallverbesserung vorgesehen sind – beispielsweise vom Generalunternehmer eine dünnschichtige Trittschalldämmung ausgeschrieben wird, es jedoch allen Beteiligten klar sein sollte, dass mit dem vorgesehenen Produkt keine optimale Trittschallreduktion realisiert werden kann?

Wir empfehlen das Einfordern eines verifizierten Einbauplans in Kombination mit einer Bestandesmessung.

 

Man hört immer wieder den Begriff «Bestandesschutz» und dass bei Umbauten keine Verschlechterung des Schallschutzes resultieren darf. Wie ist dies zu verstehen?

Der Bestandesschutz bezieht sich auf die Eingrifftiefe. Wird mehr als eine Pinselrenovation gemacht, sind akustische Verbesserungen notwendig.

 

Bei Sanierungen gibt es verschiedene Möglichkeiten, den Trittschall von Böden zu reduzieren. Ist es möglich, den Trittschall mit einer dünnschichtigen Trittschalldämmung (2–4 mm), im Verbund mit keramischen Belägen, gemäss den Vorgaben der Norm einzuhalten? Mit welchen Stärken von trittschalldämmenden Unterlagen haben Sie gute Erfahrungen gemacht?

Wir halten es für äussert schwierig, mit 2–4 mm deutliche Trittschallverbesserungen zu erzielen. Wir haben gute Erfahrungen gemacht mit 8–10 mm. Dies hat aber auch immer etwas mit dem Produkt zu tun. Die beschriebenen Verbesserungsmasse sind meistens relativ willkürlich gewählt und stimmen Unternehmer tendenziell eher zu optimistisch.

 

Besteht aus Ihrer Sicht für das bodenlegende Gewerk eine Pflicht, den Bauherrn hinsichtlich des Schallschutzes bei privaten Umbauten zu beraten?

Ja, wir sehen den Unternehmer hier in der Pflicht, zumal er ja dann auch in der Verantwortung steht.

 

In der Branche ist es bekannt, dass bei Trittschalldämmungen im Verbund mit keramischen Belägen Prüfzeugnisse mit hohen dB-Zahlen im Umlauf sind, mit welchen in der Praxis jedoch nur wenig dB-Verbesserung resultiert. Wie kann sich ein Handwerker am besten absichern? Gibt es für den Handwerker eine umsetzbare Möglichkeit, die Produkte anhand des Frequenzbereichs auf dem Prüfzeugnis zu beurteilen?  

Das sehen wir auch so: Die Verbesserungsmassnahmen sind sehr unübersichtlich dargestellt und meistens nicht nachvollziehbar. Bei grossen Unsicherheiten würden wir empfehlen, einen Akustiker hinzuzuziehen und vom Produktehersteller Prüfberichte mit konkreten Einbausituationen anzufordern.

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